Duitse evacués in Vught 1944/1945


Selfkant

 

Für die Bevölkerung der von den Alliierten besetzten Dörfer Millen, Tüddern, Wehr, Süsterseel und Hillensberg war der Krieg noch nicht zu Ende. Ihr stand im Gegenteil noch eine Prüfung besonderer Art bevor. Am 11. November 1944 wurden die Verbände der amerikanischen 1. Armee durch Truppen der britischen 2. Armee abgelöst. Während die amerikanischen Truppen ein Verbleiben der Zivilbevölkerung geduldet hatten, ordneten die englischen Truppen die sofortige Evakuierung der gesamten Bevölkerung an.

Nachdem man alles Vieh nach Holland abgetrieben hatte, wurde die Bevölkerung mit Lastkraftwagen in das Camp Vught (nördlich von Eindhoven) transportiert. Hierher durften nur Handgepäck mit der notwendigsten Kleidung und einige Lebensmittel mitgenommen werden. Alles andere musste zurückgelassen und einem ungewissen Schicksal überlassen werden. Die wertvollen Stücke wurden in aller Eile in Truhen, Kisten und Waschkesseln vergraben. Die Möbel und der Hausrat mussten in einem Raum aufgestellt werden. Die Schlüssel dieses Raumes waren bei der Militärkommandantur abzugeben. Die Bevölkerung wurde damit jäh aus ihrer gewohnten und altvertrauten Umgebung herausgerissen. Die Umstellung fiel besonders den älteren Menschen sehr schwer.

Das Lager Vught war ein ehemaliges deutsches Konzentrationslager, das von einem Wassergraben und einem doppelten Stacheldrahtzaun umgeben war. Die Unterkünfte bestanden aus Holzbaracken. Jede Baracke hatte einen Schlaf- und einen Tagesraum. Die primitiven Toiletten befanden sich in einem schlechten Zustand. In den Schlafräumen standen 200 Eisenbetten in 6 Reihen zu zweien übereinander. Es handelte sich also um eine ausgesprochene Massenunterkunft.
Das Zusammenleben so vieler Menschen auf so engem Raum verursachte manche Probleme und es grassierten auch gefährliche Krankheiten. So brachen in der Zeit der Unterbringung in diesem Lager die Ruhr und der Typhus aus.
Die Ernährung der Lagerinsassen war ausgesprochen katastrophal. In der ersten Zeit gab es einen halben Liter Suppe und einige Kekse als Verpflegung. Später gab es einen halben Liter gesüßten Reis. Kurz vor Weihnachten gab es dann einige Tage überhaupt kein warmes Essen. Später erhielten die Menschen nur etwa ein Achtel Liter Suppe. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Lagerleitung die internierte Bevölkerung für die zu diesem Zeitpunkt gestartete Rundstedt-Offensive büßen lassen wollte. Da diese Portionen vor allem für die Erwachsenen viel zu klein waren, wurden die Mülltonnen der Lagerküche nach Abfällen durchsucht.
In so mancher Baracke hat man Kartoffelschalen gekocht, um sich eine geringe Aufbesserung der Tagesrationen zu verschaffen. Infolge der schlechten Ernährung waren viele sehr entkräftet und konnten so einer Krankheit keinen Widerstand mehr entgegensetzen. Die Zahl der Sterbefälle war deshalb sehr hoch. In Wehr wird die Erinnerung an die Einwohner, die im Lager gestorben sind, durch das sogenannte Vught-Kreuz wachgehalten. Nach dem Kriege hat man fast alle diese Toten heimgeholt und auf den Heimatfriedhöfen beigesetzt.
Die alliierte Lagerleitung hatte in der Mitte des Lagers einen großen Lautsprecher aufstellen lassen, der die deutschsprachigen Nachrichten des Londoner Rundfunks verbreitete. Diese Nachrichten waren damals praktisch die einzige Informationsquelle der Lagerinsassen. In den britischen Heeresberichten wurden wiederholt Ortsnamen aus der engeren Heimat genannt. So war mehrfach von Luftangriffen auf Havert die Rede. Auch der schwere Bombenangriff auf Heinsberg am 16. November 1944 wurde erwähnt.

Die ferngelenkten deutschen V1-Geschosse überflogen regelmäßig in mehreren Bahnen das Lager. Britische Jagdflugzeuge verfolgten zuweilen diese Raketen und beschossen sie auch, hielten sich ansonsten aber in einem respektablen Abstand. Im Dezember 1944 explodierte ein solches V1-Geschoß weniger Kilometer vom Lager entfernt mit einer so gewaltigen Erschütterung, dass trotz der ziemlich großen Entfernung zahlreiche Fensterscheiben im Lager zersprangen.. Mitte Dezember wurde für kurze Zeit wieder Geschützdonner hörbar. Auch konnte man beobachten, dass alliierte Jagdbomber in der Ferne zu Sturzflügen ansetzten. Ob es sich dabei um einen größeren deutschen Angriff im Zusammenhang mit der gleichzeitig gestarteten Ardennen-Offensive oder nur um einen durchgebrochenen deutschen Stoßtrupp handelte, ist nicht bekannt.

Die Geistlichen teilten das Los der Bevölkerung. Am 26. November 1944 konnte im Lager erstmals eine hl. Messe gefeiert werden.
In einer leerstehenden Baracke hatte man einen Notaltar aufgestellt. Einige Paramente und Kelche waren von den Geistlichen mit ins Lager gebracht worden. Ein Jesuitenpater aus ´s-Hertogenbosch besorgte Hostien und Messwein. Sonntags wurden sechs hl. Messen und werktags vier hl. Messen gelesen. Dadurch wurde praktisch allen Lagerinsassen die Teilnahme an einer hl. Messe ermöglicht.

Die anfängliche Hoffnung, bereits Weihnachten 1944 wieder zu Hause zu sein, sollte sich leider nicht erfüllen. So musste dann das Weihnachtsfest im Lager gefeiert werden. Dieses Fest war von tiefer Trauer überschattet. Um wenigstens den Kindern eine kleine Freude zu machen, hatte man aus Blechbüchsen und anderen Abfallstoffen bescheidene Weihnachtsgeschenk gebastelt.
Die über das Lager hinwegfliegenden V1-Geschosse lieferten eine sehr unweihnachtliche Begleitmusik.

Über das Leben hinter Stacheldraht schrieb Pfarrer Fuß aus Tüddern später in seine Pfarrchronik:
Anfangs wollt´ ich verzagen
und ich glaubt´, ich trüg es nie
und hab es doch ertragen
aber frag mich nur nicht wie.´

Die Heimkehr der im Camp Vught internierten sollte dagegen noch lange auf sich warten lassen. Man hatte der Bevölkerung zuvor versprochen, dass sie heimkehren könne, wenn die Front sich weiter in das Innere Deutschland verlagert habe. Obwohl der Selfkant seit der zweiten Januarhälfte 1945 kein Kampfgebiet mehr war, machten die Autoritäten des Lagers keine Anstalten, die Bevölkerung zu entlassen. Als das Frühjahr nahte, ohne dass sich irgendwelche Anzeichen für die baldige Entlassung zeigten, wurden vor allem die Bauern unruhig, die mit Sorge daran dachten, was werden sollte, wenn die Felder nicht bestellt werden konnten. Die im Lager internierten Geistlichen überreichten deshalb Anfang Februar 1945 der kanadischen Lagerverwaltung ein Memorandum, in dem eindringlich auf die Notwendigkeit einer baldigen Heimführung hingewiesen wurde. Das Memorandum wurde nicht beantwortet.

Da man nichts Genaues darüber wusste, was die Alliierten mit der internierten Bevölkerung vorhatten, tauchten immer wieder beunruhigende Gerüchte auf. So war manchmal die Rede davon, dass die Bevölkerung überhaupt nicht mehr nach Hause käme, sondern nach Südfrankreich oder auf eine holländische Nordsee-Insel deportiert werde.

Am 14. März 1945 wurden endlich nach langem Drängen einige Familien bestimmt, die zur Frühjahrs-Bestellung nach Hause zurückkehren durften. Diese Gruppe bestand aus 60 Personen und wurde am 17. März mit Lastkraftwagen nach Haus transportiert. Die Heimkehr der übrigen Campbewohner wurde erst einige Wochen nach Kriegsende, Ende Mai und Anfang Juni 1945, gestattet.
Die nach Thüringen evakuierten Einwohner von Hoengen mussten zum größten Teil auf eigene Faust versuchen, die Heimat zu erreichen.

Die Heimat mit ihren verwüsteten und zerstörten Häusern und Straßen, den von Bomben- und Granattrichtern übersäten und stark verminten Wiesen und Feldern, den Drahtverhauen, Erdbunkern und Schützengräben bot den Heimkehrern ein unsagbar trauriges Bild. Die Orte Havert, Hoengen und Saeffelen waren schwer zerstört. Die Kirchen in Havert und Hoengen waren nur noch ein Trümmerhaufen, die Kirche in Saeffelen schwer beschädigt. Alle Wohnungen waren geplündert und vieles war mutwillig zerstört worden. Trotzdem waren alle froh, endlich in der Heimat zu sein.

Doch die Menschen sollten noch keine Ruhe haben. In den Feldern und Gemarkungen, die vier Monate lang Frontgebiet gewesen waren, lauerten viele tödliche Gefahren. Große Teile des Selfkants waren mit Minen verseucht. Überall lagen noch Munition und Blindgänger herum. Durch Minenexplosionen kamen nach dem Krieg insgesamt 32 Selfkänter ums Leben. Besonders schwer zu leiden hatte die Bevölkerung von Hoengen, die insgesamt 22 Tote zu beklagen hatte. Von den vielen Einzelschicksalen dieser Zeit, die unmöglich alle aufgezählt werden können, verdienen doch einige Fälle besonders hervorgehoben zu werden. So wurden am 4. August 1945 drei Söhne einer Familie aus Hoengen im Alter von 15, 13 und 10 Jahren von einer Mine zerrissen. Am 9. Februar 1946 kam ein Vater aus Kleinwehrhagen mit seinen beiden Söhnen durch eine explodierende Mine ums Leben. Sehr schwer wurde auch eine Familie aus Tüddern getroffen, deren drei Töchter im Alter von 19, 17 und 13 Jahren am 5. Mai 1945 von Fremdarbeitern erschossen wurden.

Die Gesamtbilanz des Krieges bot ein erschütterndes Bild. Auf den Friedhöfen des Selfkants sowie in Feldgräbern waren insgesamt 96 gefallene deutsche Soldaten beerdigt, darunter 17 Einheimische, die in die Heimat überführt werden konnten. Die im Selfkant gefallenen Soldaten wurden inzwischen alle auf den Ehrenfriedhof in Wehr umgebettet. Das Archiv des Amtes Selfkant war von amerikanischen Truppen abtransportiert worden und ist seitdem spurlos verschwunden. Nur die Standesamtsregister und einige alte Chroniken sind erhalten geblieben.

Durch eine nach Beendigung des Krieges durchgeführte Erhebung wurde festgestellt, dass allein die englischen Truppen im Selfkant Requisitionen im Werte von rund 7,7 Millionen Reichsmark vorgenommen hatten. In diesem Betrag sind die Schäden in den von deutschen Truppen besetzt gewesenen Orten nicht enthalten. Die Schäden in diesen Orten müssen wegen der weit größeren Zerstörungen noch um vieles höher veranschlagt werden.

In diesem stark vom Kriege mitgenommene Gebiet, in dem eine große Wohnungsnot herrschte, mussten nach Kriegsende 149 Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten und 29 Flüchtlinge aus der Sowjetzone aufgenommen werden. Aufgrund des Beschlusses über das Feindvermögen wurde alles deutsche Vermögen im Ausland beschlagnahmt. Unter diese Beschlagnahmung fiel auch der in den niederländischen Nachbargemeinden liegende Grundbesitz der Selfkant-Bevölkerung, obwohl für diese sogenannten Traktatländereien im 19. Jahrhundert besondere vertragliche Vereinbarungen getroffen worden waren. Von dieser Maßnahme wurde vor allem die Bevölkerung von Saeffelen sehr stark betroffen. Einige Landwirte verloren einen so großen Teil ihres Grundbesitzes, dass ihr Betrieb nicht mehr existenzfähig war und aufgegeben werden musste.

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