Duitse evacués in Vught 1944/1945


Weihnachten 1944 in den Ardennen


door Josef Lambertz

Jedes Jahr Weihnachten gehen meine Gedanken in die Kindheit zurück. Und ob ich will oder nicht, irgendwann steht mir dann die Kriegsweihnacht 1944 vor Augen. Ich war damals neun Jahre alt und lebte mit meiner Mutter in einem kleinen Eifeldorf an der deutsch-belgischen Grenze. Ende September hatten die vom Atlantik kommenden allierten Kampftruppen unser Dorf besetzt und damit erstmals deutschen Boden betreten. Doch der weitere Vormarsch der Alliierten kam am Westwall, der wenige Kilometer entfernt war, zum Stehen. Es gab wochenlange verbitterte Gefechte, und unser Dorf lag in der Schusslinie.

Um uns Zivilisten zu schonen wurde das Dorf evakuiert. Mit einer lange Reihe von LKW brachte man uns ins belgische Ardennenstädchen Malmedy, das seit September in der Hand der alliierten war. Wir wurden in Massenquartieren untergebracht, zunächst in einer leerstehenden Fabrik und dann in einem alten Kloster. Die Versorgungslage war schlecht. Das bisschen Essen, das man uns zur Verfügung stellen konnte, reichte kaum zum Überleben. Im Umkreis von 5 km durften wir uns frei bewegen, mussten aber, um als Deutsche kenntlich zu sein, gelbe Armbinden tragen. Einmal in der Woche marschierten wir in ein benachbartes Dorf und erbettelten uns an den Haustüren Butterbrote.

Foto: Het lint waarvan de gele armbanden werden gemaakt. Uit collectie Josef Lambertz

Im Dezember wurden die alliierten Truppen noch einmal zurückgeschlagen. Malmedy und St. Vith wurden wieder Kampfgebiet, Zentrum der sogenannten Ardennenoffensive. Seit dem 14.Dezember lagen wir Tag und Nacht unter Artilleriebeschuss. Dazu kamen häufige Bombenangriffe. Am Heiligen Abend waren es schon zehn Tage, dass wir in den Kellern des Klosters lebten, nur bei Kerzenbeleuchtung, der Strom war ausgefallen.  Wir waren in ständiger Angst vor einem Voltreffer. Abend für Abend schlug ein katholischer Pfarrer aus einem Nachbardorf zu uns durch um uns die Generalabsolution zu erteilen.

Am Nachmittag des Heiligen Abends geriet unser Nachbarhaus in Brand. Da man das Übergreifen der Flammen auf das Kloster befürchten musste, brachten uns amerikanische Soldaten vom Kloster in das ein paar hundert Meter entfernte weitläufige Abteigebäude, das zum Teil als Notlazarett eingerichtet war. Fast im Laufschritt eilten wir, überwiegend Frauen und Kinder, durch das, was von Malmedy übriggeblieben war: rauchende Ruinen und brennende Häuser. Jeweils zwanzig Personen kamen in einen Raum. Auch hier gab's keine Beleuchtung. Aber durch die kahlen Fensterrahmen drang neben der eisigen Kälte der Feuerschein des einst so schönen Städchens. Ich lag auf unserem Köfferchen, mit dem Kopf im Schoss meiner Mutter. Und draussen Dauerbeschuss, sogar eine V 1 stürtzte ab. So verbrachten wir den Heiligen Abend. Kurz vor Mitternacht liessen Beschuss und Bombardement fast schlagartig nach. Es krachten noch einige Granaten, und dann war Stille, erstmals seit zehn Tagen. Wie wir später erfuhren, hatte das Internationale Rote Kreuz zur Weihnacht eine einstundige Feuerpause zwischen den kriegführenden Parteien aushandeln können, eine Stunde 'stille Nacht'. Aber friedlich war die Stille nicht. Der Geschützlärm hatte alle anderen Geräusche überdeckt. Aber jetzt hörten wir das Knistern der Feuer, das Einstürzen von Ruinen und das Stöhnen der Verwundeten in den benachbahrten Räumen.

Kurz nach Mitternacht hörten wir vom Kreuzgang her Stimmen. Zwei Männer gingen von Raum zu Raum. Es war der Pfarrer, der uns in den letzten Wochen betreut hatte, und unser Lagerältester. Jeder hatte eine brennende Kerze in der Hand. Als sie in unseren Raum kamen, las der Pfarrer das Weihnachtsevangelium vor: 'Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren'- 'Und auf Erden ist Frieden bei den Menschen seiner Gnade'. Diese Worte, die bei jedem der Anwesenden nicht zuletzt Erinnerungen an Weihnachten zu Hause audlösten, diese Worte jetzt in einer solchen Umgebung. Als dann die beiden Männer mit merkwürdig heiser klingender Stimme 'Stille Nacht, heilige Nacht' anstimmten, kämpften die meisten mit den Tränen; mitsingen konnten wohl nur wenige. Und noch heute spüre ich das Würgen im Hals, wenn ich an diese Minuten denke.

Nach Ende der Feuerpause setzten die Gefechte erneut ein. Wenige Tage später holte uns das Internationale Rote Kreuz aus dem immer noch umkämpften Malmedys heraus. Für wenige Minuten schwiegen erneut die Waffen. Ich meine das gespenstische Bild noch zu sehen: vorneweg ein Rotkreuzfahrzeug mit flattender Fahne, dann sechs oder sieben LKW mit uns 'Reichsdeutschen' und zum Schluss wieder Rotes Kreuz. Aber rechts und links von der Landstrasse waren auf Sichtweite die Stellungen der deutschen und der alliierten Kampftruppen zu sehen, und wir dazwischen. Es ging westwärts nach Spa, Lüttich und Brüssel. Unsere Odysse, die uns auch in ein Konzentrationslager in den Niederlanden führen würde, hat noch fünf Monate gedauert. Manche Erinnering daran ist inzwischen verblässt. Aber auch wenn ich hundert Jahre alt werden sollte, die Weihnacht 1944 werde ich nie vergessen.

Bron: Josef Lambertz (foto 2014) in Weihnachtsgeschichten am Kamin 12, Rororo-Taschenbuch 1997