Duitse evacués in Vught 1944/1945


Odyssee (6)

 

Nach einigen Tagen wurden wir zu einem Bahnhof geführt und dort in Güterwaggons verladen, in denen es sehr kalt, aber auch sehr dunkel war. Nach einer für mich endlos langen Fahrt hielt der Zug an und die Türen wurden geöffnet. Ein Lastwagen stand vor dem Bahnhof, um ältere und gehbehinderte Menschen aufzunehmen. Wir jüngeren Leute mussten einen langen Weg zu Fuß gehen, bis wir in ein Lager kamen, das mit Stacheldraht umzäunt war. Erst jetzt sagte man uns, dass wir im ehemaligen Konzentrationslager Vught angekommen wären.

Nach ca. sechs Wochen brachte eine Krankenschwester meinen jüngsten Bruder und übergab ihn unserer freudenstrahlenden Mutter.

Das Leben im Lager war eigentlich erträglich, wäre da nicht die plötzliche Krankheit meiner Mutter gewesen. Der englische Lagerarzt diagnostizierte Typhus und sie wurde in Quarantäne gehalten. Niemand durfte sie besuchen.

Jetzt hatte ich die alleinige Verantwortung über meine Geschwister. Ich war die Älteste von vier Kindern und war selbst noch keine dreizehn Jahre alt. Niemand hat mich in meiner Sorge um meinen jüngsten Bruder unterstützt. Selbst dann nicht, wenn er während der Nachtstunden nach seinem "Fläschen" verlangte und ich es ihm unter Ängsten auf dem Flur auf offener Flamme aus Karton und Zeitungspapier aufgewärmt habe.

Unsere Mutter war so schwer krank, dass die Ärzte sie schon "aufgegeben" hatten. Wir wurden zu ihr gerufen, uns von ihr zu verabschieden. Es war eine sehr traurige Begebenheit. Nachdem dann mein Vater und die übrigen Männer eines Tages am Tor standen und er sie am Fenster begrüßen durfte, ging es unserer Mutter von Tag zu Tag wieder besser.

Sie blieb noch einige Wochen unter Quarantäne. Nach einiger Zeit konnten wir sie noch einmal besuchen. Allerdings durften wir nicht zu nahe an sie heran gehen. Eine Krankenschwester passte höllisch auf. Trotzdem gelang es mir, nahe an sie heranzukommen. Sie schlug sprichwörtlich die Hände über dem Kopf zusammen und bestellte mich für den morgigen Mittag an den Maschenzaun und hat mich dort entlaust. Noch heute höre ich ihre Worte und möchte sie daher auch in unserem Dialekt wiedergeben: "Kommens jet nooder, due has d'r janze Kopp voll Nesse". (Nisse: Ei der Laus)

Nachdem die Familien wieder beisammen waren, wurde uns Anfang Mai mitgeteilt, dass wir nach Pfingsten entlassen würden. Mit einem Güterzug verfrachtete man uns Pfingstdienstag nach Aachen West. Auch dort mussten wir noch eine Nacht in den Waggons verbleiben und erst am nächsten Tag gegen Mittag wurden wir auf offenen Lastwagen nach Kalterherberg gebracht.

Bei unserer Rückkehr fanden wir unser völlig verwahrlostes und leergeräumtes Haus vor und waren darüber sehr enttäuscht.