Duitse evacués in Vught 1944/1945


Odyssee (2)

 

Reihen wir uns jetzt wieder in den Verlauf der Evakuierung ein:
Die nun folgenden Ereignisse, die zum Teil traumatischer Natur waren, sind den zeitgeschichtlichen Zeugen, der langsam von der Bühne des Lebens abtretenden Generation, noch fest in der Erinnerung gespeichert.

Nachdem wir Dorfbewohner uns vollzählig am 8. Oktober gegen 10.30 Uhr an der Kirche versammelt hatten, erschienen nach und nach amerikanische Militärtransporter ohne Verdeck und verfrachteten uns in eine Kaserne am Stadtrand von Malmedy.


Ankunft der Kaltenherberger vor der Kaserne in Malmedy

 

Gegen 14 Uhr standen wir in kleineren Gruppen auf dem Kasernenhof versammelt und erst nachdem Zählung sowie Verhöre aller Männer über 16 Jahre durch eine Kommission beendet waren, durften wir in die Kaserne und verteilten wir uns in den noch freien Räumen.

Warum die Amerikaner 45 Personen nach Verviers transportierten und sie nach einigen Tagen wieder zurück in die Kaserne brachten, erklärt sich vielleicht aus der Tatsache, dass man sie zu den Bewohnern Leykauls und Küchelscheids zählte, die mittlerweile wieder belgische Staatsbürger geworden, aber mit uns evakuiert worden waren, und man sie von den Deutschen trennen wollte. Genaueres ist hierüber allerdings nicht bekannt und wird wohl als ewiges Geheimnis in den Annalen der 4. US-Cavalry Group verbleiben.

Fast alle im Parterre liegenden Räume waren bereits durch Evakuierte aus belgischen Dörfern rings um St. Vith oder auch Malmedy belegt. Soweit jedoch in meiner Erinnerung gespeichert, konnten sie nach einigen Tagen die Kaserne verlassen und in ihre Dörfer zurückkehren.

In den noch freien Räumen lagen Strohballen bereit, die wir an den Wänden entlang zu einer einigermaßen erträglichen Schlafstätte herrichteten. Die Verpflegung, wenn man überhaupt davon sprechen kann, ließ sehr zu wünschen übrig. Da aber die überwiegende Mehrheit für einige Tage Proviant mit auf die "Reise" genommen hatte, schien dies zunächst nicht von Bedeutung. Allmählich gestaltete sich die Versorgung jedoch zu einem Problem und wir hungerten uns in der Folgezeit von einem Tag zum anderen. Die zunächst nur mittags dargereichte Verpflegung bestand ausschließlich aus einer undefinierbaren Suppe, die fast nicht genießbar war. Demzufolge büchsten wir jungen Leute durch eine Öffnung in der Umgrenzungsmauer aus und versuchten, in den umliegenden Dörfern wie Burnenville mit mäßigem Erfolg zu hamstern, gelegentlich aber auch zu klauen.

Ende Oktober wurde die Kaserne aus für uns unerklärlichen Gründen geräumt. Das Kriegstagebuch "Schicksale zwischen den Fronten" von Adolf Hohenstein lässt allerdings auf Seite 96 die Gründe hierfür erahnen.

Das V. US-Corps, das erst seit dem 20.Oktober den gesamten Bereich vom 4. US Cavalry Group übernommen hatte, musste sich in zunehmendem Maße mit den mittlerweile auftretenden Schwierigkeiten, die durch die Räumung Kalterherbergs entstanden waren, auseinandersetzen.

Aus Gründen, die nie abschließend geklärt wurden, übertrugen die Amerikaner der belgischen Administration von Malmedy die Verantwortung, und diese sah sich außerstande, für ca. 2.000 Menschen zusätz liche Verpflegung herbeizuschaffen. Wer Verwandte oder Bekannte in den grenznahen Dörfern wie Sourbrodt, Robertville, Ovifat oder anderen Gemeinden vorweisen konnte, wurde auf eigene Verantwortung in die "Freiheit" entlassen.

Private Aufzeichnungen dokumentierten allerdings, dass ungefähr 600 Personen weder Bekannte noch Verwandte aufsuchen konnten, sie aber, ihrem Glück vertrauend, in Sourbrodt, Ovifat oder Robertville nach einer Bleibe suchten. Andere wiederum, ebenfalls ca. 600 Personen, gingen nach Weywertz, Weismes, Montenau oder auch Amel.

Sieht man hier von Einzelschicksalen einmal ab, so hatten diese 1.200 Personen eine allgemein erträgliche Evakuierung durchzustehen und sie kehrten schon Anfang März 1945 in ihre Heimat zurück. Wiederum andere, ungefähr 200 Personen, fanden bei Bekannten in Malmedy eine Bleibe. Die in der Kaserne verbliebenen ca. 400 Personen wurden in einem ehemaligen Waisenhaus, von den Kalterherber - gern auch "Klösterchen" genannt, zunächst zwangsweise einquartiert. Sie konnten sich allerdings frei bewegen. Die Erwachsenen mussten jedoch beim Gang durch die Stadt eine gelbe Armbinde tragen. Das Leben schien auch hier erträglich, wenn nicht die Ungewissheit über die Rückkehr ständiger Begleiter gewesen wäre. Trotzdem war die überwiegende Zahl der Kalterherberger von der Hoffnung beseelt, noch vor Weihnachten wieder zu Hause zu sein.

Nachdem dann aber am 16. Dezember die Ardennenoffensive der deutschen Wehrmacht die amerikanische Front durchbrochen hatte und Malmedy am 23.,24. und 25. Dezember durch alliierte Flugzeuge bombardiert worden war, zerschlugen sich ihre vagen Hoffnungen. Für diejenigen, die bei Bekannten oder im "Klösterchen" untergebracht waren, begann eine Irrfahrt sondergleichen.

Viele der Evakuierten, die noch versuchten, dem Inferno in Malmedy durch eine Flucht zu entkommen, wurden von den Amerikanern aufgegriffen und in ein Internierungslager nach Hombourg verfrachtet. Aber auch sie brachte man Anfang März auf Lastwagen in die Heimat zurück.