Duitse evacués in Vught 1944/1945


Odyssee (3)

 

Über die Odyssee der in Malmedy verbliebenen Evakuierten schreibt Maria Reiners aus Kalterherberg in anschaulicher Weise und unter anderem in ihrem Tagebuch:

"Am 29. Dezember wurde bekannt gemacht, die Reichsdeutschen müssten morgen früh an der Kirche sein und würden aus Malmedy fortgeschafft.

Wir wurden dann auf Lastwagen geladen und landeten abends gegen 9 Uhr in Lüttich. Man brachte uns in ein Internierungs lager. Dieses war so besetzt, dass wir auf den Speicher kamen. Über uns die ganze Nacht die V 1. Der Empfang war ziemlich freundlich; wir erhielten dort sogar Verpflegung. Am anderen Morgen wurden wir aufgeladen und zur Kleinbahn gefahren. Mit dieser ging es weiter und wir waren gegen 6 Uhr abends in Theux, südöstlich von Lüttich. Wir mussten in der Kleinbahn bleiben. Unsere Ausweispapiere nahm man uns ab. Gegen 10 Uhr führte man uns in ein Kino und dort haben wir die Silvesternacht erlebt.

Am anderen Morgen führte man uns durch die Stadt und wir landeten in einem Kasino. Dort waren wir ca. 200 Personen in einem Raum und haben auf Stroh gelegen wie die Schweine. Bitterkalt war es dort, nur ein Klosett und eine Waschgelegenheit war vorhanden.

An Verpflegung bekamen wir etwas Brot und ganz dünne Suppe. Wir wurden ständig von zwei Gendarmen bewacht, von denen der eine freundlich, der andere das direkte Gegenteil war. Wir blieben bis zum 7. Januar dort. Abends vorher wurde gesagt: "morgen geht es weiter" und wir mussten durch die Stadt zum Bahnhof marschieren. Es war sehr kalt. Die Bewohner standen vor den Türen und starrten uns an, wie wir mit Sack und Pack und Kinderwagen vorbeizogen. Am Bahnhof angekommen, lud man uns in Viehwagen und wir landeten abends gegen 10 Uhr in Brüssel. Hier war ein sehr großes Polizeiaufgebot und wir wurden wie Verbrecher mit vorgehaltener Maschinenpistole in Empfang genommen.

(Wie wir nachher erfuhren, war von Theux gemeldet worden, es kämen ca. 300 politische Gefangene und wie nun Frauen mit Säuglingen und kleinen Kindern kamen, wusste die Gendarmerie im ersten Moment nicht, was los war.)

Infolge mangelhafter Organisation kam es mit der Gendarmerie zu einigen Auftritten, wobei sogar einem, der etwas beschränkt war, mit Erschießen gedroht wurde. Man führte uns zur Kleinbahn und wir landeten gegen 11 Uhr in einem Gefängnis. Es war verdunkelt und demzufolge entstand ein großes Durcheinander. Kinder weinten vor Kälte und Müdigkeit. Auf dem Gefängnishof wurden die männlichen Personen über 14 Jahre von uns getrennt und man führte uns auf den Speicher. Es war dort bitterkalt und die Frauen hatten keine Milch für ihre kleinen Kinder. Man brachte uns einen Kübel Chicoréegemüse, welches aber so bitter war, dass wir es beim besten Willen nicht essen konnten. Am anderen Tag wurden wir eingeteilt und kamen in die Gefangenenzellen. Wir waren fünf Frauen und 10 Kinder in einem Raum. Jede Stunde wurden wir gezählt und aufgeschrieben. In den Zellen war es bitterkalt. Von Zeit zu Zeit durften wir wohl in einen gewärmten Aufenthaltsraum gehen, aber nach 10 Minuten kam dann die Aufseherin und rief: "Alles auf die Zimmer!"

Dann saßen wir wieder in den kalten Zellen hinter verschlossenen Türen. Wir bekamen morgens warmen Kaffee, 300 g Brot und etwas Butter. Mittags und abends Gefängnissuppe, genug, aber nicht gut. Die Männer, welche man von uns getrennt hatte, waren in einem anderen Flügel untergebracht. Einmal durften wir auf dem Gefängnishof ein paar Minuten mit ihnen sprechen. Uns wurde immer gesagt, wenn ihr wegkommt, gehen die Männer mit und das war gelogen. Am 9. Januar wurden 20 Männer bis 63 Jahre fortgebracht in ein Gefängnis außerhalb Brüssels nach St. Gilles. Sie haben dort in Zellen gesessen bis zum 9. März, sind dann wieder auf die erste Stelle zurückgebracht worden und sind dort geblieben bis zum 9. April. Die Verpflegung ist dort miserabel gewesen, so dass dieselben am 9. April völlig abgemagert bei uns ankamen. Wo wir waren - genannt Petit Château - waren auch ca. 2.000 politische Gefangene beiderlei Geschlechts, die dort festgehalten wurden, weil sie mit den Deutschen zusammen gearbeitet hatten.