Duitse evacués in Vught 1944/1945


Odyssee (7)

 

Beide Schilderungen lassen in ihren Schlussbemerkungen unterschwellig erkennen, indem sie von ihren völlig leergeräumten und verwahrlosten Häusern berichten, wie die Spätheimkehrer das Verhalten vieler Dorfbewohner während ihrer Abwesenheit beurteilt haben.

Mit Sicherheit wurde dem Phänomen des schwindenden Unrechtbewusstseins während dieser turbulenten Zeit nicht die gebührende Beachtung zuteil, aber heute noch darüber zu urteilen, sollte Verhaltensforschern überlassen bleiben.

Zum eventuellen und nachträglichen Verständnis greife ich trotzdem auf das Kriegstagebuch des Landkreises Monschau zurück, in dem es auf Seite 142 unter anderem heißt: Jedoch lag vor dem Dorf in einer Mulde, wo der Breitscheider Weg einmündet, ein Riesenberg aller durch die Amerikaner aus den Wohnungen zusammengefahrenen Möbel.

Auch die ersten Heimkehrer stellten bei ihrer Rückkehr fest, dass die Amerikaner wie die Vandalen gehaust und alle nur erdenklichen und für sie nützlichen Gegenstände, wie Türen und Fensterrahmen als Befestigungsmaterial für die aufgeweichten Straßen benutzt hatten.

Ähnlich äußert sich Rudolf Klock, Dentist aus Monschau, in seinem Tagebuch: Nachdem Kalterherberg räumen musste und dort alles verwahrlost steht und durchstöbert wird, ist unsere größte Sorge, dass es irgendwie zu einem Zwischenfall kommt und wir auch räumen müssen.

Am Beispiel Hotel Perlenau, wo die Amerikaner sich die Schlüssel aller Gästezimmer vom Besitzer mit der Versicherung aushändigen ließen, dass alle Zimmer im vorgefundenen Zustand verbleiben würden, ihn aber postwendend für 10 Tage nach Malmedy deportierten und er nach seiner Rückkehr ein völlig leergeräumtes und verwüstetes Haus vorfand (Kriegstagebuch S. 78), lässt sich ebenfalls ablesen, wie sie in den Wohnungen gehaust und sämtliches Mobilar zerschlagen, wie sie das Bettzeug in ihre Schützengräben und Bunker gebracht haben.

Und weiter heißt es im Kriegstagebuch auf Seite 47: Plündern und Rauben gilt als Verbrechen und ist nach amerikanischen Heeresbe stimmungen unter Strafe gestellt. Trotzdem machten sich nachweislich die unteren Dienstgrade ein Vergnügen daraus, alle nur erreichbaren Erinnerungsstücke in den Kalterherberger Häusern an sich zu nehmen. Die Militärpolizei konnte nichts dagegen unter nehmen, sie nahm sogar aktiv an diesen Plünderungen teil.

Die Spur dieser 230 Kalterherberger hatte ich in den Wirren des Krieges völlig verloren. In der Kreisverwaltung Monschau machte man sich zunehmend Gedanken; und als am 21. April der Aachener Bischof Dr. Johannes Josef van der Velden der Stadt einen Besuch abstattete, nahm Bürgermeister Scheibler die Gelegenheit wahr, seine Vermittlung in Anspruch zu nehmen und den noch in unbekannter Ferne ausharrenden Kalterherbergern zur Rückkehr zu verhelfen.

Der Bischof hat beim päpstlichen Nuntius in Brüssel ihren Aufenthalt erfahren und ihre Heimkehr für den 21. Mai 1945 erwirkt.

Während dieser Evakuierung sind 58 Kalterherberger Bürger verstorben oder durch Kriegseinwirkung getötet worden.

Abschließend sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass es in den belgischen Grenzdörfern sehr viele Menschen gab, die in selbstloser Hilfe und ohne Rücksicht auf Nationalität versuchten, den in Not geratenen Flüchtlingen zu helfen. Stellvertretend für all' diejenigen, die wahrhaft tatkräftige Hilfe geleistet haben, möchte ich aus meiner Erfahrung die gesamten Einwohner des kleinen Fleckens Outrewarche bei Robertville benennen und ihnen hiermit meinen nachträglichen Dank übermitteln. Bei einer Einwohnerzahl von nicht einmal fünfzig Personen fanden dort weit mehr als 20 Flüchtlinge freundliche Aufnahme. Sie alle waren Fremde. Nach den Gesetzen des Krieges sogar Feinde. Trotzdem wurden sie aufgenommen und über viele Monate mit dem Nötigsten versorgt. Freundschaften sind entstanden, die sich auf die nachfolgende Generation vererbten und bis zum heutigen Tag noch andauern.

Und nach einer Zeit von über sechzig Jahren erscheint es mir nicht müßig, die verehrten Leser(innen) der nachfolgenden Generationen anzuregen, über die damalige Situation der einzelnen Eifeldörfer beiderseits der Grenze einmal nachzudenken und zu versuchen sich vorzustellen, wie die Heimkehrer ihre total zerstörten und unbewohnbaren Häuser vorgefunden haben. Wie sie nicht lange wehmütigen Gedanken an das Verlorene nachhingen, sondern der aufmunternde Gedanke, wieder zu Hause zu sein, ihre Kräfte mobilisierte. Wie sie die vorgefundene Si tuation in vorbildlicher Weise meisterten. Wie sie mit der Arbeit begannen und durch ständige Improvisation ihr Schicksal und die schweren Aufgaben des Wiederaufbaus bewältigten und blühende Dörfer geschaffen haben.

Ihre Felder und die umliegenden Wälder waren vermint und bildeten selbst nach Beendigung des Krieges noch für lange Zeit eine große Gefahr für die Zivilbevölkerung. Zahlreiche Todesopfer bezeugen dies noch bis weit in das Jahr 1946 hinein.

 

Quellen:
(1) Adolf Hohenstein, Wolfgang Trees: Hölle Hürtgenwald.
(2) Adolf Hohenstein: Schicksale zwischen den Fronten.
(3) Walter Scheibler: Zwischen zwei Fronten.
(4) Die Irrfahrt der Kalterherberger: Maria Reiners, Kalterherberg.